Spart euch euren Furor!


Schnell gebloggt – Den steirischen Indiefilm „The Trail“ haben laut Produzent Oliver Haas mehr als 1,3 Millionen Menschen gesehen, bei mehr als 40 Millionen gestreamten Minuten. Und was kommt von den Medien?

Dieser Text richtet sich 100% an die Medien und nicht an den Film oder die Menschen dahinter. Der Filmemacher darf natürlich sagen was er will, um sein Werk zu promoten. Die Medien sollten es aber auch bei einem Local Hero hinterfragen.

Aber dann diese Überschriften und Teaser…

Im ORF Beitrag hießt es u.a. „ganz Europa wird aufmerksam“, der Film werde „mit Lob überschüttet“. Das sagt nicht Oliver Haas, sondern das ist das Framing der Beitragsgestaltung. Der Filmemacher selbst zitiert gute Sätze aus der Review von kino.de. Und sonst nichts.

Weil es sonst auch nichts gibt. Kino.de ist das einzige nicht-steirische Medium, das berichtet hat. Dass speziell die Kleine Zeitung als führende steirisches Zeitung immer wieder über lokale (Film)Künstler:innen berichtet ist mir schon wohlwollend aufgefallen. Gut so.

Aber das entschuldigt nicht diese Überschriften. Fairerweise muss man sagen, dass die Texte der Kleinen Zeitung (hinter einer f_cking Paywall) dann meist ganz OK und auch erstaunlich lang und ausführlich sind (im vgl. zu anderen regionalen Medien wie Woche oder – in andere Bundesländern – die Bezirksblätter oder die NÖN).

Keine Entschuldigung gibt es für den ORF.

Ich bin echt ratlos, warum Medien immer so hypen müssen. Die 1,3 Mio sind ein Erfolg. PUNKT. Und die sind DIE G’schicht! Man braucht da nicht noch Unsinn drumherum schreiben und unbelegte, aber eigentlich quantifizierbare Aussagen treffen („GANZ Europa“, „mit Lob ÜBERSCHÜTTET“)

Wörter bedeuten was. Formulierungen wie „für Furore sorgen“ und „die Heimkinos rocken“ kann man sich sparen, wenn man sie nicht irgendwie belegen oder argumentieren kann.

Sorry!

Jetzt muss ich kurz auch noch ein Spaßverderber sein und den (eh nicht vorhandenen) Furor etwas dämpfen. 1,3 Millionen Menschen, 40 Millionen Minuten. Das sind riesige Zahlen, die klingen gut.

Hier ist eine andere: 80

So viele Minuten hat der Film. Das heißt, sehr viele Menschen haben den Film nur zu einem Teil gesehen. Im Schnitt weniger als die Hälfte der Laufzeit (40/1,3 = 31min).

Seit es Netflix gibt, versuchen wir, die an harten Zahlen interessiert sind, die kommunizierten Zahlen in Kontext zu setzen. Wie viele Klicks, wie viele Minuten, viele Abos gibt es insgesamt. Das ist alles nicht neu. Die Mathematik dazu ist nicht schwer.

Und dann gibt es noch andere, quantitative Kritiken. Auf Amazon selbst gibt es zum jetzigen Zeitpunkt 86 Sternebewertungen mit einem Schnitt von 2,4/5 (siehe Bild).
In der IMDB (die auch im Besitz von Amazon ist) gibt es 433 Sternebewertungen mit einem Schnitt von 4,6/10 (= 2,3/5). Darunter sind 18 schriftliche Reviews, die die ganze Bandbreite abdecken und einige gute Punkte haben.
Auf Letterboxed sind es knapp 300 Sternebewertungen mit 2,8/5 und 68 schriftlichen Reviews.

WO ist der FUROR? WAS wird GEROCKT? WIESO ATME ICH NOCH?
Und mit Lob überschüttet werden, schaut auch anders aus.

Ja, jetzt bin ich wieder mit irgendwelchen Zahlen gekommen und hab was „schlecht geredet“.
I am the scorpion, you are the frog.

Ich hab den Film nicht gesehen und er ist mir persönlich relativ egal. Hätte ich Amazon Prime, dann hätte ich ihn mir angesehen und dann vermutlich einfach keine Kritik veröffentlicht. Indiefilme sind immer noch der Beat von Rodja und seinem HomeMovieCorner.

Ehrliche Gratulation an Team & Film! Ja, 1,3 Millionen Filmstarts (!) sind gut.
Hoffentlich bleibt auch finanziell ordentlich was dabei über.

2 Antworten

  1. Robert Niessner sagt:

    Hey Harald, schöner Text – danke fürs Einordnen!

    Wir nehmen die Medien-Formulierungen auch eher mit einem Augenzwinkern. 🙂
    Dass „The Trail“ überhaupt in diese Headlines rutscht, hätten wir selbst nie erwartet – umso spannender, das von außen beobachtet zu lesen.

    Und ja, du hast völlig recht: aktuell 43 Mio Minuten / 1,4 Mio Unique Streams mit ~31 min sind kein Weltrekord, aber für einen dialogfreien, selbstfinanzierten Indie-Film aus Österreich trotzdem ziemlich cool und deshalb freuen wir uns mal einfach.

    Bei Amazon-Indie-Filmen (laut Filmhub/AMP Insights) liegt der Durchschnitt eher bei 18-25 Minuten pro Stream – viele brechen also bei vergleichbaren Filmen deutlich früher ab. Drück uns also bitte die Daumen, dass wir weiter übern Schnitt laufen.

    Vielleicht sehen wir uns ja mal bei einem Screening oder Festival – wäre spannend, sich mal in Ruhe über Streamingzahlen vs. Wahrnehmung auszutauschen.

    Liebe Grüße aus Graz,

    Robert

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